
Ein Gefühl von Angst liegt in der Luft. Es ist die Angst vor Nähe – dieses innere Zittern, das Herzklopfen, das Gefühl, ständig auf der Flucht zu sein. Die Klientin spürt es tief in sich: Wenn jemand ihr zu nahekommt, steigt Panik auf. „Komm mir nicht zu nah…“ flüstert eine innere Stimme. Ein Drang entsteht, sich zu verkriechen, einzukugeln, zu verschwinden. Es fühlt sich ausweglos an – und in der Brust breitet sich ein tiefer, alter Schmerz aus.
Mit jedem Atemzug wird der Körper ruhiger. Der Atem wird tiefer, gleichmäßiger. Die Gedanken verblassen. Die Reise beginnt – und die Seele öffnet die Tür zu einer anderen Zeit.
Da steht eine junge Frau in einem Wald. Das Licht der Abendsonne flimmert zwischen den Bäumen. Sie trägt nur ein dünnes, weißes Nachthemd, die Haare fallen wirr über ihre Schultern, und die nackten Füße sind kalt vom feuchten Moos. Sie rennt, stolpert, schaut sich immer wieder um. Ihr Herz schlägt bis zum Hals.
Ihr Name ist Maria. Sie ist vielleicht zwanzig Jahre alt – und sie läuft, um ihr Leben.
Etwas treibt sie an, etwas verfolgt sie. Sie weiß nur: Sie darf nicht gesehen werden. Zwischen den Bäumen sucht sie Schutz, doch die Angst in ihrem Inneren ist größer als die Dunkelheit um sie herum.
Das Bild verändert sich. Maria steht vor einem kleinen Wohnhaus. Sie schaut auf die Tür, zögert, spürt eine innere Beklemmung. Ein Gedanke steigt in ihr auf: „Ein Mensch, der mir nahe ist, wird mir gefährlich.“ Ihr Herz zieht sich zusammen. Sie ahnt, dass etwas geschehen wird – etwas, das sie für immer verändern wird.
Die Zeit bewegt sich zurück. Maria sieht sich selbst als junges Mädchen, im selben Haus. Zwei Männer treten ein. Sie sprechen leise, aber bestimmt. Einer sagt mit kalter Stimme:
„So, Herr, jetzt holen wir Ihre Tochter, wie vereinbart. Sonst…“
Ihr Vater steht daneben, die Schultern schwer, der Blick leer. Er sagt kaum ein Wort. Sie sieht die Verzweiflung in seinen Augen, die Scham, die Hilflosigkeit. Er opfert sie – und doch scheint es, als bleibe ihm keine Wahl.
Noch weiter zurück offenbart sich der Ursprung seines Handelns. Männer bedrängen ihn, schlagen ihn, fordern Geld, das er nicht hat. In seiner Angst um das Überleben der Familie stimmt er schließlich zu. Sein Herz zerbricht in dem Moment, als er seine Tochter verkauft. Er weiß, was er tut – und doch sieht er keinen anderen Weg.
Zurück in der Gegenwart dieses alten Lebens flieht Maria, als sie begreift, was geschehen ist. Sie sieht die Männer auf den Vater losgehen, sie hört die Schreie – und rennt.
In ihr ist nur noch Angst. Sie kann niemandem mehr vertrauen, nicht einmal der Mutter, die von allem wusste. „Ich bin verloren,“ denkt sie. „Ich kann nicht zurück.“
Sie läuft in den Wald, bis ihre Kräfte versagen. Sie schläft im Gras, hungrig, verzweifelt, die Tränen trocknen auf ihrer Haut.
Tage vergehen. Dann, eines Morgens, begegnet sie einer alten Frau – einer Einsiedlerin, die allein im Wald lebt. Diese Frau nimmt sie auf, ohne viele Fragen zu stellen. Sie gibt ihr Nahrung, warme Kleidung, ein Bett aus Stroh. Maria bleibt dort. In der Stille des Waldes zieht sie sich immer weiter zurück aus der Welt. „Ich will von der Welt nichts mehr wissen,“ denkt sie. „Ich traue niemandem – außer dieser Frau.“ Jahre vergehen. Maria wird älter, aber ihr Herz bleibt verschlossen.
Und dann – eines Nachts – dringen zwei Männer in die Hütte ein. Es geschieht schnell, brutal, sinnlos. Maria schreit nicht. Sie weiß, dass es keinen Schutz gibt.
Als sie stirbt, durchzuckt sie ein einziger Gedanke: „Selbst hier bin ich nicht sicher. Man kann Männern nicht trauen.“ In ihr entsteht eine tiefe Verachtung, ein Schmerz, der über den Tod hinaus in der Seele bestehen bleibt – ein Herz, das die Liebe ablehnt, aus Angst, wieder zerstört zu werden.
Doch in der Rückführung darf nun Heilung geschehen. Die Klientin kehrt mit der Kraft ihres Bewusstseins in die Szene zurück, in der Maria im Wald vor Angst erstarrt. Sie atmet tief – einmal, zweimal, dreimal – und mit jedem Atemzug löst sich ein Teil dieser Panik. Das Gefühl darf in die Vergangenheit zurückfließen, dorthin, wo es entstanden ist. Frieden breitet sich aus.
Dann erscheint Marias Körper in der letzten Szene. Sanft nimmt die Klientin ihn in ihre Arme, trägt ihn an einen sicheren Ort. Mit liebevoller Hingabe wäscht sie die Wunden, reinigt, heilt. Sie bettet Maria in die Erde und legt einen Stein auf ihr Grab, auf dem steht: „Hier ruht in Frieden – Maria.“ Die Hütte im Wald darf sich auflösen. Nichts Altes bleibt zurück.
Einer nach dem anderen treten nun die Menschen aus jener Zeit hervor. Zuerst die Männer, die den Vater erpresst haben – sie spüren den Schmerz, den sie verursacht haben. Dann die Männer, die Maria misshandelten – auch sie fühlen den Schmerz, die Angst, die Verzweiflung, die sie einst ausgelöst haben. Maria darf sprechen. Alles, was unausgesprochen blieb, darf nun gesagt werden.
Dann erscheint der Vater. Seine Augen sind voller Reue, seine Schultern schwer von Schuld. Maria sieht den Schmerz in ihm, und ihr Herz öffnet sich. Sie umarmen sich – und in dieser Umarmung fließt Vergebung. Die Schuld löst sich, Liebe darf wieder fließen. Auch die Mutter darf eintreten, und Maria vergibt auch ihr.
Am Ende steht die Klientin neben Maria. Sie nimmt sie bei der Hand und führt sie sanft in ein neues Verständnis – zeigt ihr, dass Nähe nicht Schmerz bedeuten muss, dass Berührung auch zärtlich, liebevoll, sicher sein kann. Maria beginnt zu verstehen, dass sie die Liebe nicht mehr abwehren muss. Langsam, mit jedem Atemzug, kehrt Vertrauen zurück – und mit ihm weicht der Schmerz im Unterleib.
Ein tiefer Friede legt sich über die Szene. Die Bilder verblassen. Maria lächelt – frei, erlöst, ganz. Die Klientin spürt in sich eine neue Ruhe, ein warmes Leuchten in ihrem Herzen. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlt sich Nähe nicht mehr gefährlich an. Sie fühlt Leben. Sie fühlt Liebe. Sie fühlt Frieden.